AfD-Verbot Jetzt! – Rede von Oma Liane am 1. Dezember 2024

Moin, ich bin Liane und engagiere mich bei den Omas gegen Rechts in Kiel und Preetz mit dem Ziel die parlamentarische Demokratie in Deutschland zu stärken, damit es für uns und unsere Kinder und Enkel auch weiterhin eine demokratische Zukunft gibt.

Noch vor einem Jahr war auch ich dafür sich mit der AFD vor allem politisch auseinander zu setzen. Inzwischen haben wir alle erleben müssen, wie etablierte demokratische Parteien sich nicht nur von der AFD vor sich her treiben lassen, (Migration als die Wurzel allen Übels), sondern auch noch eins drauf setzen, mit der Wortschöpfung: irreguläre Migration. Kein Mensch ist illegal! Geflüchtete Menschen, Queers, Jüdinnen,People of Colour fühlen sich inzwischen bei uns nicht mehr sicher. Einige überlegen, ob sie das Land verlassen sollten.

Schauen wir uns doch diese Partei noch einmal genauer an: Stichwerkzeuge auf AFD-Wahlkampf-veranstaltungen, Initiierung von Jugendkampfsportgruppen. Gab es das nicht schon einmal? Gezielt zieht diese Partei mit ihren Anhänger:innen aufs Land, betreibt dort Haß und Hetze gegen demokratische Strukturen, zerschlägt funktionierende Dorfgemeinschaften, baut dort militante Gruppen auf und schürt die Angst. Gewöhnung an rechtsextreme Propaganda schleicht sich auf vielen Ebenen unserer Gesellschaft ein- auch in Gemeindevertretungen. Ein Beispiel nur: die kürzlich wegen des Verdachts auf Brandstiftung und Wahlfälschung festgenommenen Mitglieder der Freien Sachsen, der/die in einem Ortschafts Rat mitgearbeitet hatten.

Engagierte Menschen, Politiker:innen werden bedroht und legen deshalb ihre Ämter nieder.Wir brauchen genau solche Menschen, die sich engagiert für konkrete Veränderungen und Verbesserungen in Politik und Gesellschaft einsetzen und sich aktiv gegen die AFD positionieren.

Was muss noch alles passieren, ehe wir das Heft des Handelns wieder in die Hand nehmen?

Mit ihren Umsturz-, ihren Remigrationsplänen und dass sie eigentlich gegen Demokratie ist, geht die AfD inzwischen öffentlich spazieren.

Die Geschichte hat uns gelehrt wie schnell eine Partei auch mit „nur“ einer Eindrittelmehrheit die Demokratie außer Kraft setzen kann. Die AFD ist schon jetzt eine Bedrohung für das Leben aller, die nicht in ihr Weltbild passen. Einmal an die Macht gekommen, kann sie ihre Angriffe auf die Demokratie so verankern, dass sie nur schwierig wieder rückgängig gemacht werden können.

Das Privileg der Parteienfreiheit darf nicht missbraucht werden, um die Freiheit anderer zu zerstören. Das Parteienverbot ist kein Gedanken – sondern ein Organisationsverbot und steht, wie wir heute feststellen müssen, leider aus „gutem Grund“, in unserem Grundgesetz. Mit jedem Tag finanzieren wir eine extrem rechte Kaderschmiede und stellen Ihnen öffentliche Orte zur Verfügung. Steuergelder finanzieren die menschenverachtende Politik der AFD und die Abschaffung der Demokratie.

Das ist verrückt!

Im Februar sind Bundetagswahlen. Ich erwarte von den demokratischen Parteien, dass diese Zeit für eine politische Wende genutzt wird. Ich erwarte eine soziale, solidarisch gerechte Politik, eine Politik, die der Klimakatastrophe planvoll begegnet. Manchmal reibe ich mir die Augen und denke nur noch: „gehts noch?“ Ich erlebe die Vorbereitung auf personenbezogene Wahlkämpfe statt konkreter inhaltlicher Auseinandersetzung. Die Gefahren eines weiteren Rechtsrucks werden aus meiner Sicht völlig ausgeblendet.

 

Das positive ist, wir können was tun! Mischen wir uns wieder stärker ein, wie zu Beginn des Jahres als Tausende auf die Straße gingen. Schauen Sie sich die Webseite „AFD-Verbot Jetzt“ an, da sind weitere Argumente sachlich aufgeschlüsselt! Unterstützen Sie uns und machen Sie mit – JETZT. Schreiben Sie Politiker:Innen an und fordern Sie sie dazu auf, den Antrag auf die Einleitung eines Verbotverfahrens gegen die AFD zu unterstützen. Für ein Leben in Freiheit und Würde für alle! Machen wir wieder eine breite Bewegung daraus!

Vielen Dank dass ich hier sprechen durfte.

Liane Junge

 

Lesen macht stark!

Unsere Demokratie ist bedroht – das Getöse von rechts außen wird lauter und droht, die Stimmen der Toleranz, des Respekts und der Menschlichkeit zu übertönen.  Das Schlimme ist, dass sich auch Parteien, die sich eigentlich christlich nennen oder demokratisch, in die Kakophonie aus  Hass Vorurteilen einstimmen.

Überall tun sich Menschen zusammen, um gegen den Rechtsruck der Politik laut zu werden. Wir haben hier ein paar Titel zusammengestellt, die Tipps zum Handeln geben, Argumente für Debatten und wichtiges Wissen.

Übrigens: Die kleinen, inhabergeführten Buchhandlungen in dieser Stadt freuen sich, wenn Ihr Literatur, die Euch interessiert, dort kauft oder bestellt – in den allermeisten Fällen ist das gewünschte Buch am nächsten Tag im Laden. Einfach mal ausprobieren:

Bollwein, Thomas Rechtsextremismus Was ist das und was können wir dagegen tun?

978-3-96488-217-2
Die Zivilgesellschaft wehrt sich gegen Rechtsextreme
Die Entstehung von rechten Einstellungen und Verschwörungsideologien
Handlungsfelder und Strategien der extremen Rechten, Vorurteile als Nährboden
Wie kann man Rechtsextreme erkennen?
Argumente gegen rechtsextreme Äußerungen vor Ort
Betriebliche Gegenstrategien und Strategien im Netz
Rechtsextremismus und Einwanderungsgesellschaft
Recherche- und Aufklärungsarbeit
Was die Politik von der Zivilgesellschaft lernen muss

 

100 Karten über Rechtsextremismus KATAPULT (Redaktion) / Correctiv (Redaktion)

Das Ziel des Rechtsextremismus ist es, mit einer menschenverachtenden Ideologie bis in die Mitte der Gesellschaft zu dringen. Dieser Kampf um die Mitte war nach 1945 für Rechtsextreme aussichtslos. Die DVU ist damit gescheitert. Auch die NPD blieb eine Partei ohne Kontakt zur Mitte. Heute aber sieht die Sache anders aus. PEGIDA und AfD haben geschafft,
wovon DVU und NPD nur träumten. Sie dienen als Brücke zwischen dem Extremen und der Masse. Das Phänomen beschränkt sich nicht nur auf Deutschland. Auch anderen Ländern geht es ähnlich. Diese 100 Karten dienen der Aufklärung – dem Verstehen, was Rechtsextremismus im Kern ausmacht

Daniel Mullis Der Aufstieg der Rechten in Krisenzeiten. Die Regression der Mitte

Warum sind rechte und rechtsextreme Bewegungen in Krisenzeiten so erfolgreich? Mit welchen Strategien überzeugen sie die Mehrheit davon, dass die Verteidigung der eigenen Privilegien wichtiger ist als Solidarität oder Verzicht? Der Sozialwissenschaftler Daniel Mullis untersucht, für welche Botschaften die gesellschaftliche Mitte empfänglich ist. In zahlreichen Gesprächen arbeitet er die bundesdeutsche Befindlichkeit unserer Gegenwart heraus. Und er fragt danach, wie progressive Politik in unsicheren Zeiten gelingen kann.

»Dieses Buch ist Ergebnis meiner Bemühungen zu verstehen, was in der Mitte der Gesellschaft passiert ist, dass die Rechte derart erstarken konnte … Wir gingen den sozialen Dynamiken, Konflikten und Glückserwartungen nach, in deren Gefüge sich der Aufstieg der Rechten vollzog und weiter vollzieht. Dabei fokussierten wir bewusst auf die sogenannte Mitte und befragten Menschen aller politischen Couleurs. Was zutage trat und was ich hier als Regression der Mitte beschreiben werde, beunruhigt mich zutiefst, zumal klar wurde, wie stark das rechte Rauschen die Gesellschaft mittlerweile durchzieht.«

Hendrik Cremer Je länger wir schweigen, desto mehr Mut werden wir brauchen

Hendrik Cremer arbeitet beim Deutschen Institut für Menschenrechte. Zu seinen langjährigen Arbeitsschwerpunkten gehören Rassismus und Rechtsextremismus. Er studierte Jura und war anwaltlich in den Bereichen Aufenthalts- und Sozialrecht tätig. Er ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen und war wiederholt im Bundestag und in Landtagen als Sachverständiger geladen. Er lebt in Berlin.

Arne Semsrott Machtübernahme Was passiert, wenn Rechtsextremisten regieren |

Eine Anleitung zum Widerstand 

Arne Semsrott, geboren 1988 in Hamburg, ist Politikwissenschaftler und Aktivist. Er leitet das Recherche- und Transparenzportal FragDenStaat, mit dem er u. a. für die Veröffentlichung der „NSU-Akten“ sorgte. Zudem war er Mitinitiator von Hochschulwatch und OpenSCHUFA und gründete den Freiheitsfonds. Semsrott schreibt u. a. für den fluter, netzpolitik.org und Le Monde diplomatique und ist zweifacher Träger des Otto Brenner Preises für kritischen Journalismus. 

Tymothy Snyder Über Tyrannei 20 Lektionen zum Widerstand

Wir sind nicht klüger als die Menschen, die erlebt haben, wie überall in Europa die Demokratie unterging und Faschismus, Nationalsozialismus und Kommunismus kamen. Aber einen Vorteil haben wir. Wir können aus ihren Erfahrungen lernen.

Leiste keinen vorauseilenden Gehorsam.“ So lautet die erste von 20 Lektionen für den Widerstand, mit denen Timothy Snyder die Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika vorbereitet auf das, was gestern noch unvorstellbar zu sein schien: einen Präsidenten, der das Gesicht der Demokratie verstümmelt und eine rechtsradikale Tyrannei errichtet.

Doch nicht nur in den USA sind Populismus und autoritäres Führertum auf dem Vormarsch. Auch in Europa rückt die Gefahr von rechts immer näher – als ob es das 20. Jahrhundert und seine blutigen Lehren niemals gegeben hätte. Snyders historische Lektionen, die international Aufsehen erregt haben, sind ein Leitfaden für alle, die jetzt handeln wollen – und nicht erst, wenn es zu spät ist. Lektion 8: „Setze ein Zeichen.“ Dieses Buch tut es. Tun Sie es auch.

 

 

 

 

 

Wo finde ich, was ich als OMA brauche?

Unsere Mitstreiterinnen, die die phantastische Seite OMAS GEGEN RECHTS Nord betreuen, haben bereits eine ansehnliche Sammlung von Liedern zusammengestellt. Texte (und Noten) findet Ihr hier:

OMAS GEGEN RECHTS – Lieder

Druckvorlagen für Flyer, Buttons, Keksstempel und alles, was sonst noch so gebraucht wird – die geniale Nord Website macht die Suche leicht:

OMA Material

 

Gedenken am 9. November

Ein Beitrag von OMA Hanne

Unser Stadtteil leuchtet am 9. November

erinnerte auch in diesem Jahr an die Nazi-Pogrome des 9.November 1938. Neben den Mahnwachen an den Stolpersteinen gab es auch Rundgänge zu den Stolpersteinen in Kiel. Etwa 30 Menschen beteiligten sich am Rundgang, der am Blücherplatz begann und dessen Führung die OMAS-GEGEN-RECHTS übernommen hatten.

 

Mehr als 100.000 Stolpersteine (ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig), die die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus lebendig halten sollen, liegen mittlerweile in Deutschland und Europa in mehr als 700 Städten.

Brennende Teelichte sorgten dafür, dass die Stolpersteine auch im Dunkeln leicht zu fiinden waren.

Jeder Stein erinnert an einen Menschen, der von den Nationalsozialisten ermordet wurde. Sie sind jeweils am letzten frei gewählten Wohnort des Opfers verlegt.

Die Opfer der Nationalsozialisten waren jüdische Bürger, Sinti und Sintezza, Roma und Romnji, politische Gegner*innen, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Opfer der sogenannten Euthanasie aber auch Menschen ohne festen Wohnsitz, Prostituierte und andere, die als sog. Asoziale kriminalisiert wurden.

Interessiert lauschten die Teilnehmenden Hannes Vortrag.

Die Stolpersteine dieser Kieler*innen wurden besucht:

  • Familie Isidor, Irma Blumenthal und Lieselotte Berghoff, Scharnhorststr. 17

Isidor Blumenthal (*1985) zog mit seiner Frau Irma, geb. Cahn (*1887) und der vierjährigen Tochter Lieselotte 1916 nach Kiel. Sie waren Mitglieder der Israelitischen Gemeinde Kiel – eine liberale Gemeinde.
Isidor Blumenthal war Ingenieur seit 1919 Prokurist bei der Firma Neufeldt und Kuhnke, dem späteren Hagenuk. Außerdem war er Inhaber des Elektrogeschäfts „Elektro- und Radiobetrieb Elra, Radio Kiel“. Die Tochter Lieselotte war dort zunächst Geschäftsführerin, später Eigentümerin des Geschäftes in der Kehdenstraße. Die Familie war angesehen und wohlsituiert.
Nach 1933 allerdings verschlechterte sich die Situation der Familie, sie verspürten die Ächtung und Missachtung durch die Nationalsozialisten. 1935 verliert Isidor Blumenthal dann seine Stelle bei Neufeldt und Kuhnke und arbeitet bei der Tochter in der Kehdenstraße mit. Dieses Geschäft verlieren sie dann im Rahmen der „Arisierung“.
1940 verlässt das Ehepaar Kiel nach Friedberg, dem Geburtsort von Irma. Die Tochter Lieselotte plant ihre Emigration nach Palästina und bereitet sich darauf vor. Die Auswanderung gelingt ihr nicht.
Stattdessen findet die Familie 1941 im sogenannten „Judenhaus“ in Hamburg wieder zusammen – einer Sammelstelle für die Deportation. Alle drei werden am 8.11.1941 mit 1004 anderen Jüdinnen und Juden über 1500 km nach Minsk deportiert. In Minsk wurden davor 12-13000 Menschen ermordet, um Platz für die „reichsdeutschen Juden“ zu schaffen. Dort stirbt die Familie in Folge der unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen im Lager.

 

  • Familie Leon, Else und Minna Lotte Abramowicz Kiel, Yorckstraße 1a
    Leon Abramowicz (*1893 in Nowy Dwar/ Warschau ) war verheiratet mit Else, geb. als Else Narwa(*1891) in Warschau zogen am 31.8.1920 nach Kiel, wo Leon als Textilhändler arbeitete. Von Beruf war er Schneider. Sie bekamen die Kinder Salomea(*1922), Frieda (*1923) und 1929 Minna Lotta.
    Bereits im September 1933 emigrierte die Familie nach Frankreich, wo sie für die nächsten Jahre in Paris lebte. Neun Jahre später, am 16.07.1942, wurden die Eltern Leon und Else sowie die jüngste Tochter Minna Lotte verhaftet und zusammen in das Sammel- und Durchgangslager Drancy gebracht.
    Am 16./17.1942 wurden 13.152 Juden Opfer einer Razzia und im Wintervelodrom eingepfercht, darunter über 4000 Kinder.
    Salomea und Frieda waren wahrscheinlich vorher von den Eltern zu einer illegal arbeitenden Kinderhilfsorganisation gebracht worden, von welcher sie mit Nahrung, Kleidung und einer Unterkunft versorgt wurden. Es ist nicht bekannt, warum Minna Lotte bei den Eltern geblieben war.
    Am 07.09.1942 wurden Leon, Else und Minna Lotte vom Lager Drancy aus nach Auschwitz deportiert. Dort wurden die drei Familienmitglieder aller Wahrscheinlichkeit nach ermordet. Weder der genaue Todeszeitpunkt noch die Todesursache sind bekannt.

  • Sophie Leipziger, Bülowstr. 3
    Sophie wurde 1864 in Nakel in Westpreußen als Sophie Ersack geboren. Sie lebte mit ihrem Mann Lipmann, genannt Leo, Leipziger und ihren Kindern Johanna, Gertrud, Else(Luise) und Erich in Lissa/Posen (heute Polen). Im Januar 1920 zog die Familie (vermutlich wegen der deutschen Gebietsabtretungen nach dem Versailler nach Kiel. Dort wohnte bereits die Tochter Johanna. Ob Leo, der als Kaufmann gemeldet war (von Beruf war er Bäcker), noch berufstätig war ist nicht bekannt. Das Ehepaar lebte in wohl gutsituierten bürgerlichen Verhältnissen in der Bülowstraße und waren Mitglieder der Israelitischen Gemeinde Kiel.
    Seit 1933 fühlten sie sich zunehmenden Anfeindungen ausgesetzt und zogen 1937 nach Berlin. Dort starb Leo, sein Todestag ist nicht bekannt. Die Tochter Johanna zog im Juli 38 ebenfalls nach Berlin. Ihr gelang mit dem letzten Flüchtlingsschiff (Rudnisha) am 31.8.39 die Flucht nach Haifa. Dort lebte bereits ihre Tochter Charlotte Goldmann (die später als Lotti Huber bekannt wurde).
    Vermutlich auf Grund ihres Alters wurde Sophie Leipziger keine 1942 in ein sog. „jüdisches Altenheim“ zwangseingewiesen, um am 14.7.42 nach Theresienstadt deportiert zu werden. Dort ist sie am 17.9.43 im Alter von 79 Jahren gestorben.
  • Stolperstein für Dr. med. Max Fabian, Forstweg 81
    Dr. med. Max Fabian wurde am 12.9.1873 in Tuchel in Westpreußen geboren.
    Bis zum Jahr 1914 arbeitete er als Schiffsarzt, danach im Ersten Weltkrieg als Militär- und Oberstabsarzt. Dort erwarb er mit seinen Rettungstaten hohes Ansehen bei den Kameraden. Er hatte einen großen Freundeskreis. Das Theater galt als seine große Leidenschaft.
    1920 zog er von Berlin-Charlottenburg nach Kiel und heiratete 1922 Herta Helene Katz, eine Kunstmalerin. Die Ehe war kinderlos. Bis zum 31.10.1933 arbeitet Max Fabian als Regierungsmedizinalrat und leitender Arzt im Städtischen Versorgungsamt.
    Eine angekündigte Beförderung zum Oberregierungsrat blieb nach dem 30.1.1933 aus. Das am 7.4.1933 erlassene „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ hatte seine Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand zur Folge. Das Klima gegenüber der jüdischen Bevölkerung in Kiel wurde schlechter.
    Max Fabian und seine Frau zogen am 31.5.1933 nach Berlin. Dort wurde er am 1.7.1933 zum Oberregierungsmedizinalrat im Ruhestand befördert. Aber auch im anonymen Berlin verschlechterte sich die Situation der jüdischen Bevölkerung. Seine Frau verließ ihn im Dezember 1939 wegen der langsam unerträglichen Situation der Juden in Deutschland und wanderte nach Brasilien aus, wo ihr Bruder lebte.
    Max Fabian befürchtete eine Deportation in ein KZ und tauchte deshalb 1940/41 in Berlin unter. Am 1.11.1941 wurde er entdeckt und ins Ghetto von Lodz deportiert- auch das eine Zwischenstation zum Weg ins Vernichtungslager. Dort arbeitete er noch als Arzt. Während der kurzen ihm dort noch verbleibenden Lebenszeit versuchte er als Arzt. Die Lebensbedingungen im Ghetto waren katastrophal. Die Bewohner litten an Hunger und schweren Krankheiten und der Kälte im Winter. Diese unmenschlichen Bedingungen waren für den bereits 68-jährigen Dr. Fabian unerträglich. Er starb am 6.1.1942. Erst 1951, zehn Jahre später, wurde er offiziell für tot erklärt.
  • Stolpersteine für Familie Bruck, Esmarchstraße 20
    Dr. jur. Wilhelm Ludwig Bruck geboren 1873 in Breslau, war promovierter Jurist. Seine Frau Elisabeth Margarethe geb. Hennoch, wurde am 1870 in Berlin geboren. Zur Familie gehörten die Kinder Paul Wolfgang (*1898), der 1939 nach London emigrieren konnte, und Vera (* 1901). Seit 1914 lebte die Familie in Kiel.
    Mit 41 Jahren nahm Bruck am Ersten Weltkrieg teil und erhielt für besondere Verdienste das Eiserne Kreuz am schwarz-weißen Band. Seit 1919 arbeitete Wilhelm Bruck als Oberlandesgerichtsrat am Oberlandesgericht in Kiel. Er war Protestant und wurde von den Nationalsozialisten als sog. „Volljude“ eingestuft. Als Volljude galt man, wenn man mindestens drei jüdische Großeltern hatte. Galten für jüdische Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges zunächst Ausnahmeregelungen, so fiel die Familie Bruck den Diskriminierungen des § 5 Abs.1 des „Reichsbürgergesetzes“ vom 14. November 1935 zum Opfer. Wilhelm Bruck wurde am 31.12.1935 zwangsweise in den Ruhestand versetzt – bei reduzierten Bezügen.
    Die wohlhabende Familie wurde enteignet, konnte aber zunächst in Kiel bleiben. Am 23.4.1942 wurden sie jedoch aus ihrer Wohnung vertrieben und zwangsweise in ein jüdisches Geschäftshaus in der Holstenstraße 61 einquartiert.

Kurz vor der anstehenden Deportation der Tochter nahmen sich Wilhelm Ludwig, Elisabeth Margarethe und Tochter Vera Bruck am 9. Juli 1942 das Leben. Sie wurden auf dem Kieler Urnenfriedhof begraben.

 

  • Wilhelm Spiegel Kiel, Forstweg 42

  • Wilhelm Spiegel wurde 1876 in Gelsenkirchen geboren. Als Sohn einer aufstrebenden deutsch-jüdischen Kaufmannsfamilie studierte er in München, Berlin und Kiel Jura. 1905 ließ er sich in Kiel als Rechtsanwalt nieder. Er heiratete die Niederländerin Emma Loeb, mit der er drei Kinder bekam. 1910 bezogen Spiegels die Backsteinvilla im Forstweg 42.
    Wilhelm Spiegel zeichnete sich durch ein vielfaches Engagement aus. Von 1919-1922 war er Mitglied des Preußischen Staatsrates, von 1911-1933 war er SPD-Stadtverordneter (teilweise auch Vorsitzender) 1, er war stellvertretender Vorsitzender der israelitischen Gemeinde in Kiel, einer der führenden Vertreter der Kieler Arbeiterschaft im Kapp-Putsch. Sein anwaltliches Engagement galt auch denen, die es in der wilhelminischen und der späteren Weimarer Gesellschaft nicht leicht hatten.
    Sein letztes großes Mandat 1932 – ein Verfahren gegen Kurts Wurbs, den Chefredakteur der sozialdemokratischen „Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung“ machte ihn überregional bekannt. Er lud den Kläger Adolf Hitler als Zeugen.
    40 Tage nach der Machtübertragung an Hitler, mitten in der Nacht vor den Kieler Kommunalwahlen, verlangten zwei Fremde, einer von ihnen wohl in SA- oder SS-Uniform, Zutritt zur Villa Forstweg 42.
    Ein Schuss traf Wilhelm Spiegel in den Kopf. Die Täter flohen. Spiegel starb, Opfer eines Attentats. Ein politischer Hintergrund dieses Mordes wurde nicht einmal im März 1933 bezweifelt.
    Bei seiner Beerdigung standen Tausende von Arbeitern Spalier.
    Die Ermittlungen gegen die Täter wurden nie ernsthaft geführt. Spiegels Familie konnte sich in die Niederlande retten. Emma Spiegel starb dort 1935. Den beiden jüngsten Kindern wurde 1959 jeweils 1470 DM Entschädigung für den Mord an ihrem Vater zugestanden.

  • Familie Adler, Feldstr. 55a

Die Familie Adler war eine alteingesessene Kieler Kaufmannsfamilie. Max Adler wurde 1881 in Kiel geboren und lebte seit 1919 bis Ende 1935 in der Feldstr. 55a. Das Haus war Eigentum der Familie Adler.

Seine Frau Ida, geborene Einhorn wurde 1885 in Hamburg geboren. 1908 trat sie in die jüdische Gemeinde ein. Max Adler und Ida hatten vier Kinder: Erika, Ruth, Lotti und Carl-Heinz.

Zeitweise war Max Adler Inhaber eines Pelzwarengeschäfts in der Holstenstraße, das nach seiner Frau „Einhorn“ hieß. In der Zeit der Weltwirtschaftskrise verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage der Familie. Max, Ida und Lotti Adler zogen 1935 nach Hamburg in die Grindelallee.

Dort wurden Max, seine Frau Ida und die Töchter Erika und Lotti Opfer der Deportation vom 8. November 1941 in das Ghetto von Minsk. Zehn Tage später wurde auch die Tochter Ruth zusammen mit ihrem Mann Siegmund Fiebelmann und dem zweieinhalbjährigen Sohn Dan nach Minsk deportiert.

Einzig Carl-Heinz (*1917) konnte sein Leben retten. 1939 emigrierte er nach Shanghai und von dort 1947 weiter in die USA

Die Texte wurden auf Grundlage der Recherchen, die von Kieler Schüler*innen durchgeführt wurden, erstellt. Weitere Informationen zu Stolpersteinen finden sich in der App „Stolpersteine SH“

Preetzer OMAS für AfD Verbot

Eine Stellungnahme von Liane Junge aus Preetz

Auch wenn wir, wie der Wind bei uns im Norden, durchaus auch ein wenig schwanken, so haben wir uns doch entschlossen die Kampagne AFD-Verbot JETZT zu unterstützen.

Uns treibt das Gefühl an, einfach nichts zu versäumen, was in dieser Situation getan werden kann, auch wenn es eine höchst repressive Maßnahme ist. Dabei ist uns vor allem wichtig, den politischen Diskurs in unserer Gesellschaft voranzubringen, wachzurütteln und erneut zu entfachen. Medien, etablierte Parteien und viele andere agieren aus unserer Sicht nicht nur viel zu lasch, sondern betätigen sich regelrecht als Steigbügelhalter,indem sie u.a. Sprache und Forderungen übernehmen.

In kleinen Gemeinden haben wir erlebt, wie schnell es passiert, dass AFD Vertreter:Innen sich einnisten, jede Schwäche der etablierten demokratischen Partien ausnutzen – und auf der Straße dann umso radikaler agieren. Die Nachrichten, dass und wie sich die AFD ideologisch und praktisch, aufrüstet häufen sich ( Hass, Hetze, Drohungen gegen engagierte Menschen,Verteilen von Stichwerkzeugen während einer Wahlkampfveranstaltung, Bildung von Kampfsportgruppen usw.). Hass und Rassismus werden legitimiert.Wenn andere Mittel versagen, müssen wir auch ein Parteiverbot in Erwägung ziehen. Das Privileg der Parteienfreiheit darf nicht missbraucht werden, um die Freiheit anderer zu zerstören. Das Parteienverbot ist kein Gedanken – sondern ein Organisationsverbot und steht, wie wir heute feststellen müssen, leider aus „gutem Grund“, in unserem Grundgesetz.

Für die OMAS GEGEN RECHTS Preetz

Liane Junge

Veranstaltung zur Kampagne AFD Verbot Jetzt am 12.11.2024 , 19.00 h, in Kiel in der Pumpe.

So macht die Arbeit Spaß!

Bericht vom Workshop der Kieler OMAS GEGEN RECHTS

Samstag, 28. September 2024, morgens um 10:00 in der Pumpe, dem Kommunikationszentrum in der Kieler Innenstadt. Eigentlich ist das Zentrum noch geschlossen, aber trotzdem herrscht reges Treiben. Plakate werden aufgehängt, Leckereien auf den großen Tisch in der Ecke gestellt, Stühle gerückt. Zum zweiten Mal veranstalten die Kieler OMAS GEGEN RECHTS einen Workshop. Unter dem Motto „Alles hängt mit allem Zusammen“ fanden sich Arbeitsgruppen zusammen, um zu den Themen Migration, Kommunikation, Struktur und Entscheidungsfindung neue Medien, Sichtbarkeit und Präsenz, Verbindung zu jungen Menschen Ideen zu sammeln und Konzepte zu entwickeln.

Das OMA Treffen wurde diesmal nach der Barcamp Methode abgehalten: Die Gruppen diskutieren in einem festgelegten Zeitraum und halten ihre Ideen fest. Nach Ablauf der Zeit werden die Ideen vorgestellt, dann geht es in die nächste Diskussionsrunde. Die OMA-Lieder zu Beginn und ein musikalischer Abschluss durften ebenso wenig fehlen wie die vielfältigen mitgebrachten Leckereien für das Buffet.

Und wie ist der Workshop bei den Beteiligten angekommen? Hier ein paar Stimmen:

OMA Sabine:

Es hat Spaß gemacht zusammen mit anderen Gleichgesinnten Themen zusammen zu tragen, zu erarbeiten und unterschiedlichste Aspekte einfließen zu lassen. Am Schönsten ist aber, dass wir an den Themen dran bleiben und uns aktiv für unsere demokratischen Ziele einsetzen.

OMA Christiane S.

Als „frischgebackene“ Oma war der Workshop erst meine 3. Veranstaltung und entsprechend gespannt kam ich Samstagmorgen in die Pumpe.

Das Orgateam empfing uns mit einem informativ und liebevoll vorbereiteten Arbeitsraum, der durch unsere Mitbringsel für das leckeer Buffet kulinarisch ergänzt wurde.

Für mich folgte ein rundherum erfüllender, motivierender und super organisierter Tag.

Von Singen, Tanzen, Schmausen bis hin zu Diskutieren, Ideen sammeln und neue Projekte planen, war alles dabei.

Ich habe die Atmosphäre als konstruktiv, manchmal kontrovers, aber immer wertschätzend empfunden.

Wir haben konzentriert an Themen gearbeitet und das Orgateam hat mitgewirkt und gleichzeitig in netter Weise auf zeitliche Disziplin geachtet.

Ehe ich mich versah, war ich schon Initiatorin einer neuen Arbeitsgruppe zum Thema: Verbindung der OMAS zu Kindern und Jugendlichen.

Aber auch die Themen der anderen AG`s fand ich sehr reizvoll, z.B. Kommunikation innerhalb der größer werdenden Gemeinschaft der OMAS , sowie die Einbindung neuer Teilnehmer*innen, Migration oder Arbeit in den besonders betroffenen Stadtteilen.

Beim Vorstellen der AG´s im Plenum ergab sich, Oh Wunder, die Erkenntnis:

ALLES HÄNGT MIT ALLEM ZUSAMMEN“.

Mit bester Laune radelte ich am späten Nachmittag in der Herbstsonne an der Kiellinie nach Hause und freue mich schon jetzt auf die nächsten OMA-Treffen, sowie die Fortsetzung der Arbeit in unserer neuen Arbeitsgruppe.

Danke an das Orga-Team und alle anderen Mit-OMAS für diesen Tag.

OMA Renate

Bei unserem Workshop hat mich wieder einmal beeindruckt, wie diszipliniert, konzentriert und an einem Ergebnis orientiert wir OMAS arbeiten. Und das alles auf basisdemokratischer Grundlage, allein an unseren Leitlinien orientiert – in einer offenen, warmherzigen Atmosphäre. Toll finde ich auch, wie sich unsere unterschiedlichen Fähigkeiten und Erfahrungen ergänzen. Nun freue ich mich darauf, dass wir die von uns entwickelten Themen der Arbeitsgruppe „Schule und Jugend“ in Kürze gemeinsam anpacken.

OMA Helga

Ganz herzlichen dank erstmal an das Orgateam👏 und dann alle OMAS, die zum Gelingen beigetragen haben.Das Buffet hat mich optisch umgehauen. dieBeiträge und die Kreativität und Herzlichkeit in unserem Kreis begeistert mich und gibt mir Hoffnung.

OMA Christiane B.

Das Orgateam hatte den Workshop sehr gut vorbereitet und zeitlich strukturiert. Die Zeitwächterin Frauke hat einen tollen Job gemacht.

Die Einstimmung mit Oma Liedern, diesmal begleitet von unseren Liedaufnahmen für Stände oder andere Aktivitäten, war wunderbar.

Nachdem alle Themen vorgestellt und gesammelt waren, haben sich Arbeitsgruppen gebildet, die 2x 45 Minuten zum Thema diskutiert und Handlungsoptionen überlegt haben.

Ich war in der Gruppe, die sich dem Thema: Mehr Präsenz der OgR in den Kieler Ortsteilen mit hohen AFD Wähleranteilen (Mettenhof, Elmschenhagen, Dietrichsdorf/Ellerbek) beschäftigt hat. Ist das Ostufer in Kiel wie der Osten Deutschlands? Wie können Bündnisse, die sich in den Ortsteilen für die Demokratie engagieren durch die OgR unterstützt werden? Besuch von OgR bei Treffen der Bündnisse. Planung von gemeinsamen Infoständen oder Veranstaltungen. Präsens in den Ortsbeiräten………

Der Abschluss mit dem Tanz, angeleitet von Oma Ute war ein wunderbarer, gemeinschaftsstiftender Abschluss eines tollen Tages. DANKE 

Unser gemeinsames Mitbringbuffet war großartig, Vielfalt pur

(Ich bin sehr dankbar eine von den OgR Kiel sein zu dürfen).

OMA Frauke

Alle OMAS kamen gut gelaunt und motiviert zusammen. Zur Begrüßung sangen Liane und Steffi ein Liedchen:

Auf der Mauer, auf der Lauer sitzt ne kleine Oma

Auf der Mauer, auf der Lauer sitzt ne kleine Oma

Seht euch mal die Oma an, wie die Oma kämpfen kann

Auf der Mauer, auf der Lauer sitze ne starke Oma.

Die Sammlung der Themen, die den OMAS unter den Nägeln brennen, war lang, umfangreich und gehaltvoll und machte Lust auf Arbeit in den AGs.

Die Räumlichkeiten in der Pumpe waren gut, die Arbeitsatmosphäre klasse, die Pausen waren schön und ungemein schmackhaft. Das Büffet wie immer OMA-Spitzenklasse.

Die Ergebnisse der AGs machen Lust auf weitere Arbeit und ergaben viel gute Impulse. Besonders wunderbar fand ich:

Kieler Glück“ – Geschichten gelungener Integration in Kiel

Jugend und OMAS zusammenbringen – „Doppelklick statt Doppelherz“

Danke an OMA Manuela!

Erklärung der Kieler OMAS GEGEN RECHTS

Erklärung der Kieler OMAS GEGEN RECHTS zu den Wahlergebnissen in Thüringen und Sachsen

Was Demokratinnen und Demokraten verhindern wollten, ist nun geschehen: Das erste Mal seit 1945 ist in Thüringen aus demokratischen Wahlen eine rechtsextremistische, faschistische Partei als Siegerin hervorgegangen, eine Partei, die erklärtermaßen unsere demokratische Grundordnung zerstören will. Auch in Sachsen erhielt sie mehr als 30 % der Stimmen. Wie konnte es dazu kommen und wie kann ein weiteres Erstarken der äußersten Rechten verhindert werden?

In den vergangenen Monaten mussten wir leider erleben, wie die demokratischen Parteien in ihrer Schwerpunktsetzung von der AFD vor sich hergetrieben wurden. Die AfD hat es geschafft, die öffentliche Debatte von den wirklichen Problemen weg auf die sogenannte irreguläre Migration zu lenken. So wird weiter die Erzählung gestärkt, dass die Migration, die hier Schutz suchenden Menschen die Ursache für alle gesellschaftlichen Probleme wären.

Schon vor dem entsetzlichen Terrorakt in Solingen hatte der Überbietungswettbewerb der Parteien um die Verschärfung von Maßnahmen gegen „irreguläre“ Migration eingesetzt. Die rassistischenRessentiments, die die Politik bedient, richten sich jetzt ausgerechnet gegen Menschen aus Afghanistan und Syrien, die vor Terror und Bürgerkrieg geflohen sind.

Hilft es im Kampf gegen den Rechtsextremismus, deren Menschenfeindlichkeit zu übernehmen?

Ausgrenzung, gleich ob von Geflüchteten, sozial Benachteiligten oder irgendeiner anderen

Minderheit ist kein Ersatz für die Entwicklung notwendiger Strategien für eine zukunftsfähige Gesellschaft.

Die politischen Parteien müssen sich auf ihre gesellschaftlichen Aufgaben besinnen:

Dazu gehören existenzsichernde Löhne, bezahlbare Mieten, eine gute Gesundheitsversorgung für

alle, Investitionen in Bildung und Infrastruktur und eine gerechte Besteuerung aller Einkommen, insbesondere die Besteuerung sehr hoher Vermögen.

Wir laden alle dazu ein, mit uns und anderen demokratischen Organisationen jetzt noch lauter unsere Stimme zu erheben

für ein menschenwürdiges Leben Aller ohne Existenzängste

für eine sozialgerechte, offene und demokratische Gesellschaft

für eine gerechte Verteilung der Kosten aktueller Krisen.

Widerstand & Verantwortung Teil 2

Am Mittwoch, 31.07. kamen wir Kieler OMAS in den Genuss einer Sonderführung durch die Ausstellung „Widerstand&Verantwortung“ durch die Kuratorin, Anja Manleitner.

Im Mittelpunkt der Ausstellung steht Oskar Kusch, U-Bootkommandant, der im Kieler Marinegfängnis einsaß und 1944, im Alter von 26 Jahren, hingerichtet wurde.

Abschiedsbrief an den Vater

Anja Manleitner gab einen lebendigen Einblick in das Leben Oskar Kuschs.

Geprägt durch seine Jugendjahre in einer Gruppe der Bündischen Jugend, die sich nach 1933 gegen die Vereinnahmung durch die Hitlerjugend stellte und sich so politisierte, ging Kusch zur Marine, nicht zuletzt um politischer Verfolgung zu entgehen. Einer seiner Offiziere denunzierte den bei der Besatzung beliebten Kommandanten, und so kam es zur Verhaftung und zu Verurteilung, unter anderem wegen „fortgesetzter Zersetzung der Wehrkraft“

Bedrückend waren die Eindrücke von den Haftbedingungen, die Enge und Düsternis der Todeszellen und die bürokratischen Regularien der Hinrichtung, denn auch Mord musste seine Ordnung haben. Zeitweise begleitete uns die Klanginstallation von Herrn Penschuck – Vogelgezwitscher, die Schritte der Wachen, Türen und Motoren der LKW, mit denen die Delinquenten zur Hinrichtung gebracht wurden – dazu Abschiedsbriefe und Zeichnungen – das alles machte für uns die Beklemmung des jungen Todeskandidaten fühlbar.

Eine der Todeszellen

 

Nach dem Krieg hatte der Vater Oskar Kuschs ein Strafverfahren gegen den Vorsitzenden Richter Karl-Heinrich Hagemann angestrengt, der seinen Sohn zum Tode verurteilt hatte. Dass die Richter am Kieler Landgericht nach 1945, die ihre Ämter aus der Nazizeit beibehalten hatten, Hagemann freisprachen, weil sie in dem Todesurteil „kein politisches Motiv“ erkannten, ist ein weiteres beklemmendes Detail.

Nach einer spontanen Sammlung unter den 14 Teilnehmer*innen konnten wir uns nicht nur sehr herzlich bei Anja Manleitner bedanken, sondern ihr auch eine kleine Geldspende für ihren Verein überreichen.

Die Ausstellung über Oskar Kusch wird noch bis zum 7. September 2024 gezeigt; Details und Termine findet Ihr auf der Homepage www.oskarkusch.de

 

Ein Post von Anja Manleitner nach der Führung mit uns

Wie retten wir die Demokratie?

Bei unserem letzten OMA Treff hatten wir Karl-Martin Hentschel zu Gast, der uns einen erschreckenden Einblick in die Folgen des bundesdeutschen Steuersystems gab, ein System, das Milliardären und Millionären zahlreiche Möglichkeiten bietet, das Zahlen von Steuern zu umgehen und die Höhe ihrer Vermögen zu verschleiern.

Steuergerechtigkeit ist eine Grundlage sozialer Gerechtigkeit, und diese ist eine wichtige Säule der Demokratie.Warum, fragt man sich, wählen Menschen dennoch die AfD, obwohl diese die soziale Ungleichheit in ihrem Programm zementiert?

Wie retten wir die Demokratie? Diese Frage stellt Karl-Martin Hentschel (1) in seinem Text:

Karl-Martin Hentschel Heikendorf 30. März 2024

Wie retten wir die Demokratie?

Warum die AfD gewählt wird und wie wir der Wut mit einer positiven Agenda begegnen können.

Dr. Holger Stienen aus Wentorf bei Lübeck, Ex-Referent der AfD-Bundestagsfraktion, amtierender Vorsitzender der AfD-Kreistagsfraktion im Kreis Herzogtum-Lauenburgi, verkündete auf Facebook: „Wir brauchen mal ein paar Jahre einen totalitären Staat alter Prägung, um mit dem Gesocks aufzuräumen (…).“

  1. Das Paradox der AfD-Wähler und das Problem der Demokratie

Fachleute sprechen von einem Paradox: Die AfD hat ein Programm, das Reiche stark begünstigt und dessen Umsetzung für arme Menschen schlimme Auswirkungen hätte.ii Exemplarisch dafür sind die Forderungen nach Streichung von Sozialleistungen, gegen Mieterschutz, gegen Sozialwohnungen, für Steuersenkungen für Reiche und Großkonzerne wie die Abschaffung der Erbschaftssteuer und des Solidaritätszuschlages, beides Abgaben, die überwiegend nur von dem reichsten ein Prozent der Gesellschaft bezahlt werden. Noch absurder ist es, dass sie den Bauern die Hälfte ihres Einkommens wegnehmen wollen – durch Streichung der EU-Subventionen. Die Partei will eine Abschottung Deutschlands vom Weltmarkt und würde damit Millionen von Arbeitsplätzen zerstören. Auch will die AfD ausgerechnet den neuen Bundesländern, wo sie am meisten gewählt wird, die Einnahmen radikal kürzen, indem der Länderfinanzausgleich reduziert wird. Und natürlich lehnt die AfD jeglichen Klimaschutz ab – auch das 49€-Ticket oder Radwegeausbau.

Fazit: Ihr Programm richtet sich gegen sozial Schwache – insbesondere gegen den ländlichen Raum und besonders gegen die neuen Bundesländer – und bevorteilt einseitig reiche Menschen, denen die Umwelt egal ist.iii

Aus diesem Grund ist es verwunderlich, dass Menschen mit geringeren Einkommen und aus den neuen Bundesländern deutlich überproportional AfD wählen. Wer etwas daran ändern will, muss also verstehen, was die Ursachen sind.

1) Karl-Martin Hentschel, war von 2000 bis 2005 und 2006 bis 2009 Vorsitzender der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Landtag von Schleswig-Holstein. Seitdem lebt er als freier Autor in der Nähe von Kiel. Seit 2014 ist er Mitglied im Bundesvorstand des Vereins Mehr Demokratie e. V. Außerdem arbeitet er ehrenamtlich auf Bundesebene für die Nichtregierungsorganisation Attac und vertritt sie im Vorstand des Netzwerks Steuergerechtigkeit. (Quelle: Wikipedia)

  1. Fremdenfeindlichkeit hat wenig mit Einwanderung zu tun

Erklärt wird das Paradox meist damit, dass die AfD-Wähler*innen gegen Einwanderung sind und deshalb die anderen Themen keine Rolle spielen. Aber stimmt das so?

Ja – auf den ersten Blick stimmt das: Die Ablehnung von Migration geht offensichtlich einher mit Fremdenfeindlichkeit. Sie ist meist verbunden mit der Suche nach einem starken Führer, der bewusst chauvinistisch auftritt: Mit Kettensäge wie Präsident Milei in Argentinien, mit sexistischen Sprüchen wie Trump oder mit nacktem Oberkörper auf dem Pferd in der Natur wie Putin. Evolutionsbiologisch kann man dies auf das Revierverhalten zurückführen. Lebewesen wie der Mensch – aber auch viele andere Säugetiere, zeigen in einer sicheren Lage mit ausreichend Nahrung und einer guten Versorgung der anderen Grundbedürfnisse wenig Revierverhalten und verhalten sich oft ausgesprochen sozial und liberal. Materielle und physische Unsicherheit und Angst bringen dagegen regelmäßig Revierverhalten hervor. Daher sind reiche Gesellschaften meist toleranter als ärmere.

Gut festmachen lässt sich dies an der These, dass bestimmte Religionen wie der Islam intoleranter seien als zum Beispiel das Christentum. Sie ist offensichtlich falsch. In den Jahrhunderten vor der Industrialisierung, als der Orient noch mit Damaskus und Bagdad als Zentren der alten Welt und der großen Handelsstraßen sehr reich war, während Europa eine bettelarme und wegen der dichten Wälder und vielen Sümpfe unwegsame Gegend am Rande der Welt war, war der Islam sehr weltoffen und tolerant. Das Christentum dagegen war sektiererisch und intolerant. Der schlimmste Krieg aller Zeiten in Deutschland war der Dreißigjährige Krieg, ein Religionskrieg in dessen Verlauf ein Drittel der Bevölkerung im Deutschen Reich umkam – in einigen Provinzen sogar zwei Drittel.

In der Sammler-und-Jägergesellschaft diente das Revierverhalten der Verteidigung der Ressourcen der Gruppe oder des Stammes gegen Eindringliche, die auf Grund der Verknappung der Ressourcen (Dürre, Wassermangel, Hungersnot usw.) in benachbarte Territorien eindrangen, um zu überleben. Später nach der Staatenbildung wurden nicht nur äußere Feinde, sondern auch Mitmenschen, die anders waren, zu Feinden: Andere Religionen wie die Katholiken oder die Juden, anders aussehende wie die Roma oder auch sogar fiktiv konstruierte Feinde wie die Hexen – so in den Jahrzehnten nach dem Dreißigjährigen Krieg. In den USA richtete sich der Chauvinismus gegen Indianer, Schwarze, Iren, Italiener, Juden, Chinesen, Japaner, Mexikaner und schließlich gegen die „Latinos“ überhaupt.

Ganz wichtig ist es daher, festzustellen, dass dieser Ausgrenzungsmechanismus nur indirekt mit Einwanderung zu tun hat, wie man es heute in Europa und der USA häufig vermutet. Denn die Wahl rechtschauvinistischer Politiker findet weltweit statt – so in Indien, Brasilien, in Argentinien, in vielen arabischen Staaten, in Russland aber auch in Ungarn, Polen und Italien. Die meisten davon sind aber Staaten, in denen die Menschen eher wegziehen als einwandern. Migranten sind also nicht Ursache, wohl aber eine Projektionsfläche für die Fremdenfeindlichkeit.

  1. Vertrauensverlust in die Demokratie
    und die Frage der Ungleichheit

Entscheidend ist allerdings, dass das Vertrauen in die Demokratie im neuen Jahrtausend erheblich abgenommen hat. Wurden im Jahr 2000 noch die Hälfte der Menschheit mehr oder weniger demokratisch regiert, so kommen die entsprechenden Untersuchungen heute nur noch auf 30 Prozent. Ein rapider und erschreckender Rückgang der Demokratien.

Eine Umfrage des NDRiv im Oktober 2023 hat ergeben, dass 54%, also nur noch gut die Hälfte der Bürger damit zufrieden ist, wie in Deutschland die Demokratie funktioniert. In Mecklenburg-Vorpommern sind es aber nur noch 32 Prozent. Dabei halten aber grundsätzlich noch drei Viertel (77%) die Demokratie für die beste Staatsform.

Schaut man aber genauer hin, dann hängt die Antwort vor allem von der sozialen Lage der Menschen ab. 47% schätzen ihre wirtschaftliche Lage als gut oder sehr gut ein. Von diesen Menschen sind zwei Drittel (70%) mit der Art und Weise zufrieden, wie die Demokratie funktioniert. Dagegen finden 16% ihre Lage als schlecht oder schlecht. Und bei diesen Menschen ist es genau umgekehrt. Zwei Drittel von ihnen (70%) sagen, dass die Demokratie nicht gut funktioniert.v Das ist ein extrem signifikanter Unterschied. Wohlhabende finden Demokratie gut, Arme zweifeln an ihr. Man kann es auch so ausdrücken: Wenn die Ungleichheit in einer Gesellschaft wächst, dann wächst auch das Misstrauen in die Demokratie.

  1. Die „Verlusteskalation“

Dass die Menschen in Argentinien an ihrer Demokratie zweifeln, kann man angesichts der Krise mit Hyperinflation und hoher Arbeitslosigkeit gut verstehen. Aber warum zweifeln Menschen in Deutschland? Sind wir nicht eines der bestregierten Länder der Welt? Wir haben gut zu essen, noch nie wurden die Menschen so alt und wir haben zuletzt pro Kopf 10-mal so viel exportiert als China und immerhin dreimal so viel wie die USA und unserer früherer Angstkonkurrent Japan.vi Was ist also los, dass die Menschen so unzufrieden sind?

Wenn wir um so glücklicher würden, je mehr Wohlstand wir haben, dann wäre das nicht erklärbar. Aber so ist es nicht. Die Menschen vergleichen sich vor allem erstens mit ihren Nachbarn und zweitens damit, wie es gestern war. Nach dem Krieg ging es 40 Jahre bergauf – das war das goldene Zeitalter des Kapitalismus, in Deutschland sprach man vom Wirtschaftswunder. Zum einen stieg der Wohlstand und zum ersten Mal fühlte sich die Masse der Arbeiter als „Bürger“. Zum anderen aber nahm in allen westlichen Demokratien die Ungleichheit ab. Ganz besonders in den USA mit einem Spitzensteuersatz, der über 30 Jahre lang über 90% lag. Wer mehr als 1,5 Million Dollar nach heutigem Geld verdiente, muss 90% davon abgeben. Heute unvorstellbar. Auch in Deutschland lagen die Steuersätze Anfang der 50er Jahre so hoch und dazu kam der Lastenausgleich – alle Reichen mussten die Hälfte ihres Vermögens abgeben! Ebenfalls heute unvorstellbar.vii

Im Jahre 1980 war in Deutschland so eine Mittelschicht von 40% der Bevölkerung entstanden, der ein Drittel des gesamten Vermögens gehörte – hauptsächlich ein Teil ihrer Häuser. Und auch die Facharbeiter und die Angestellten ohne Haus fühlten sich nun eher als Mittelschicht. Soziologen bezeichnen das als Zwiebelgesellschaft – eine breite Mitte mit einer kleinen Spitze nach unten und einer kleinen Spitze nach oben. Man unterschied keine Klassen mehr, sondern nur noch Milieus.

Aber dann kam die Ölkrise, der Neoliberalismus, und schließlich die große Finanzkrise. In den letzten 30 Jahren landete das zusätzliche Vermögen überwiegend bei einer kleine Schicht von einigen Tausend Multimillionären und etwa 200 Milliardärsfamilien. Und die meisten dieser Familien haben diesen Reichtum geerbt – mehr als die Hälfte gehörte schon im Kaiserreich zu den oberen ein Prozent, ein Viertel erwarb es während des Naziregimes.viii

Aber die Menschen fühlen sich nicht nur ungerecht behandelt. Es kam in den letzten Jahren einfach zu viel auf sie zu. Soziologen sprechen von einer „Verlust-Eskalation“.ix Die große Finanzkrise und die anschließende Euro-Krise erschütterten das Vertrauen in die Sicherheit der Wirtschaft. Immer lauter läuten nun die Alarmglocken der Klimawissenschaftler. Dann kam auch noch die Corona-Pandemie dazu. Dann zuletzt noch der Ukraine-Krieg und die Gaskrise. Nur noch 9% der Menschen glauben heute noch, dass es den Kindern einmal besser gehen wird als uns.

  1. Die Menschen erwarten „Führung“

In so einer Situation entsteht ein fundamentales Bedürfnis nach Handlungsfähigkeit und Kontrolle.x In Krisensituation suchen die Menschen eine Autorität. Wenn sie die nicht finden, glauben sie leicht Verschwörungsmythen. Streit, Kritik und Diskussionen in der Demokratie um die bessere Politik signalisieren dann für viele Menschen dann nur noch Schwäche der Führung. Nicht jede Autorität ist verwerflich. Die neue Autorität kann links und demokratisch sein wie Roosevelt, der in den USA das Sozialsystem durchsetzte. Es kann auch ein Wahnsinniger sein wie Hitler, der das Land ins Verderben führte. Schon in den alten „demokratischen“ Stadtstaaten im alten Griechenland wurde, wenn die herrschende Kaufmannsoligarchie es zu weit trieb, also zu viele Einwohner verarmten, manchmal ein Tyrann gekürt, der manchmal sogar das Umverteilen des Reichtums versprochen hatte.

Die Scholz-Regierung versuchte dem Wunsch nach Handlungsfähigkeit gerecht zu werden. Hatte Merkel auf Grund der Ängste und Befindlichkeiten die Probleme lieber ausgesessen, so kommt jetzt ein Gesetz nach dem anderen. Erst Corona – dann Ukraine, dann die Sicherung der Energie im letzten Winter – alles mit Verve durchgezogen. Gleichzeitig wird sozialpolitisch umgesteuert mit der Erhöhung des Mindestlohn, mit Bürgergeld, Wohngeld, Kindergeld sowie dem Deutschlandticket. Dazu kommen schon etwa 20 Gesetze, um Deutschland klimaneutral zu machen: Netzausbau, Speicherausbau, Windflächenausweisung, PV-Gesetz, Heizungsgesetz, Mieter/Vermieter-Gesetz usw. Zum ersten Mal sinken die Emissionen rascher als gedacht – mehr als 10 Prozent in einem Jahr.

Und doch kippte im Sommer 2023 die Stimmung. Wer viel macht, ärgert auch viele. Die Regierung dringt medial nicht mehr durch. Vermutlich spielt die Uneinigkeit in der Koalition, die auch noch öffentlich ausgetragen wird, dabei eine zentrale Rolle. Die FDP nähert sich der 5%-Marke und fängt an undiszipliniert Querschläge auszuteilen. Dazu kommt das Belohnungssystem im Internet, das jede Provokation, jede Aufregung, jede verrückte Meldung mit Clicks und damit mit Werbeeinnahmen belohnt. Und die Richtigstellungen werden dann nie mehr gelesen.

Im Fußball wird in einer solchen Situation der Trainer gewechselt. In Frankreich hat jetzt Macron einen neuen jungen Ministerpräsidenten eingesetzt, der erstmal gut ankommt. Fragt sich natürlich wie lange? Es bleibt also abzuwarten, ob und wie sich Koalition berappelt.

  1. Die neue Klassengesellschaft

Es reicht aber nicht, auf das schlechte Management in der Politik hinzuweisen. Die Krise geht tiefer.

Der Soziologe Andreas Reckwitz analysiert, dass die fast klassenlose Mittelstandsgesellschaft der Nachkriegszeit (Zwiebelgesellschaft) mit einer breiten Mittelschicht und einer kleinen Spitze nach oben, der Oberschicht und einer kleinen Spitze nach unten auseinandergebrochen ist in eine neue Klassengesellschaft.xi Die alte durch Fabrikarbeit, durch Fordismus, durch starke Gewerkschaften und Betriebsräte geprägte Gesellschaft wurde abgelöst durch eine postmoderne Bildungsökonomie. Nun tragen Forschung, Entwicklung, Design und Marketing. mehr zum Wert der Produkte bei als die materielle Herstellung. Das gilt sogar für profane Gegenstände wie einen Nike-Turnschuh. Deshalb besteht der Wert einer Firma nicht mehr vorrangig aus Immobilien und Maschinen, sondern aus Patenten, Labeln, Markenrechten und dem Knowhow der Mitarbeiter. Die Zahl der Industriearbeiter hat sich seit 1960 von 45% auf 20% mehr als halbiert, die der Informationsarbeiter von verdreifacht!

Reckwitz identifiziert in der postkapitalistischen Moderne, wie er unsere Gesellschaft nennt, vier Klassen:

  • Die neue Mittelklasse der Akademiker, die mittlerweile 30% der Bevölkerung umfasst.
  • Die alte Mittelklasse der Bürger – Facharbeiter, Handwerker, Bauern und Angestellte – mit Berufsausbildung, die diese Bundesrepublik und auch die DDR nach dem Krieg aufgebaut haben.
  • Die neue prekäre Klasse, die einmal aus häufig arbeitslosen Gelegenheitsarbeitern besteht, die oft ganz oder teilweise von Transferleistungen abhängig sind, und zum anderen aus der Service-Klasse – den Paketzustellern, Sicherheitsdiensten, Reinigungsdiensten usw.
  • Und schließlich gibt es das eine Prozent, die Oberklasse, bestehend aus den Reichen, den sehr reichen Multimillionären und der neuen Nadelspitze obendrauf, der Liga der Hyperreichen – den Milliardären.

Diese Klassen haben auch noch sehr unterschiedliche Wertvorstellungen. Während die neue Mittelklasse Selbstverwirklichung anstrebt und befriedigende anregende Jobs sucht, gilt für die alte Mittelklasse mehr der alte Wert des Pflichtbewusstseins, während die prekäre Klasse nur geringe Erwartungen hat und eher nach dem Prinzip des „muddling-through“ und des Hedonismus lebt.

Entscheidend für die aktuelle Politik ist aber, dass mittlerweile die Akademiker, die neue Mittelklasse, die Politik dominieren – auch in den vom Selbstverständnis her früheren Arbeiterparteien wie der Linken und der SPD. Nicht nur im Parlament, auch in den Medien, in vielen Gemeinderäten, in den Bürgerinitiativen, Verbänden, Gewerkschaften und den NGOs dominieren die Akademiker. In den Betrieben wird man ohne Hochschulabschluss kaum noch Gruppenleiter, während früher kompetenten Facharbeitern der Weg über den Meister, den Hallenmeister bis ins mittlere Management offenstand. Das gleiche gilt für die Handwerksbetriebe und sogar für die Bauernhöfe, die zunehmend von „Studierten“ übernommen werden.

Der US-Philosoph Michael J. Sandel hat das Phänomen Trump damit erklärt, dass die Demokraten den Menschen weismachen wollten, dass mehr Bildung die Lösung der neuen sozialen Konflikte und der Klassenspaltung sei.xii Obama fuhr von Hochschule zu Hochschule und sagte den Studenten, dass jeder nur fleißig studieren muss und dann eine Chance hat. Im Ergebnis führte das zu einem gnadenlosen Wettbewerb um die Qualifikationen. Aber zwei Drittel der Gesellschaft, die keinen Hochschulabschluss haben, werden dadurch abgewertet und fühlen sich zunehmend abgehängt. Wer in Deutschland nicht aufs Gymnasium kommt, ist schon mit 10 Jahren ein Mensch zweiter Klasse. Das erklärt, warum die intellektuellenfeindlichen Ausfälle von Trump so gut ankommen. Warum viele Menschen den „Experten“ im Fernsehen nicht mehr glauben. Warum Zweifel an der Wissenschaft oft Anklang finden. Warum ein Bauer neulich sagte, schlimmer als die Grünen seien die studierten Ökobauern usw. Warum Verschwörungstheorien geglaubt werden.

Sowieso strebt nur ein Teil der Gesellschaft mehr Teilhabe und Deliberation – also mehr Demokratie an. Das gilt insbesondere für den besser gestellten Teil der Mittelklasse. Dagegen erwarten die Unterschichten vor allem Gerechtigkeit und sozialen Zusammenhang.

Natürlich ist die Wirklichkeit wie immer komplexer. Natürlich gibt es sehr erfolgreiche Handwerker und viele reiche Bauern. Natürlich gibt es Akademiker, die am Hungertuch nagen. Oft ist der Weg von den gut bezahlten Jobs der Wissensökonomie in internationalen Konzernen bis hin zu den mit Mindestlohn vergüteten Jobs der Service-Klasse gar nicht so weit. Und insbesondere viele Frauen mit Kindern müssen trotz guter Ausbildung diese Erfahrung machen. Trotzdem ermöglicht die Reckwitzsche Klassenanalyse ein gutes Verständnis der gesellschaftlichen Grabenbrüche Anfang des 21. Jahrhunderts.

  1. Die Auswirkung auf die Parteienlandschaft

Zunächst mal ist festzustellen, dass die dargestellte Entwicklung hin zur postmodernen Wissensökonomie ein weltweiter Vorgang ist. Thomas Piketty, vermutlich der meistgelesene Ökonom der Gegenwart, hat die Wahlergebnisse in allen sogenannten „entwickelten Staaten“ seit den 1950er Jahren verglichen und festgestellt, dass überall die ehemals linken Arbeiterparteien zunehmend zu Parteien des Bildungsbürgertums geworden sind.xiii Das war insbesondere eine Folge des Bildungsschubs und des Wertewandels der 1968-Bewegung. Dieser Effekt ist in allen reichen Ökonomien zu finden, von den USA über Europa bis hin nach Japan und Neuseeland. In allen Ländern wurden die linken Parteien zunehmend geprägt von der neuen Mittelklasse. Dadurch haben Themen wie die Gleichstellung von Frauen, von Homosexuellen, von Minderheiten, der Abschaffung des Abtreibungsverbots, der Blasphemie-Paragrafen und andere kulturelle Themen an Bedeutung gewonnen. So wurden sie immer mehr zu Parteien des Bildungsbürgertums – teilweise auch in Konkurrenz mit neu entstandenen alternativen und grünen Parteien.

Piketty hat bei der Auswertung der Wahlergebnisse in den wohlhabenden Staaten weltweit nachweisen können, dass spätestens seit der Jahrtausendwende die linken ehemaligen Arbeiterparteien um so mehr gewählt werden, je höher der Bildungsabschluss der Wählenden ist. Auf der anderen Seite nimmt der Einfluss der Intellektuellen auch in den alten konservativen Parteien zu, aber hier spielt das Einkommen für die Wahlentscheidung eine wichtigere Rolle. Diese Entwicklung fand aber nicht in den Schwellenländern und den Ländern des globalen Südens statt – dort haben sich die Parteien völlig anders positioniert.

Entscheidend für unser Thema ist aber die Tatsache, dass es keine Partei mehr gab und gibt, die mit ausreichender Vehemenz die Unterschicht – die neue prekäre Klasse – vertritt, was zu einer dramatisch zurückgehenden Wahlbeteiligung der Unterschichten in allen betroffenen Staaten geführt hat, während die Wahlbeteiligung des Bildungsbürgertums und der Oberschicht unverändert hoch ist. Die alte Mittelklasse wurde weiterhin durch Teile der Abgeordneten in der SPD und den Unionsparteien oder entsprechenden Parteien in anderen Staaten vertreten. Je größer aber die kulturelle Entfremdung zwischen alter Mittelklasse und den Parteien – also der Facharbeiterschaft zur SPD und der Handwerkerschaft zur CDU – wurde, desto mehr entstand ein Vakuum, in das die rechtspopulistischen Politiker geschlüpft sind.

Wo es populistischen Kräften gelang, zeitweilig die konservativen Parteien zu übernehmen wie in Großbritannien, in Italien oder jetzt in den USA, konnten sie teilweise zulegen, entfremden sich aber auf lange Sicht von der Neuen Mittelklasse. Deshalb ist es für Trump entscheidend, die Unterschichten zu mobilisieren. Dazu sind die Intellektuellenfeindlichkeit und die Migrantenfeindlichkeit die entscheidenden Bindeglieder. Denn während sich die Oberschicht und die Angehörigen der Mittelschicht der Migranten meist relativ problemlos in die Mehrheitsgesellschaft integrieren, stehen die Migranten ohne Ausbildung in direkter Konkurrenz zur prekäre Klasse um die Service-Jobs.

  1. Auf der Suche nach einem neuen Paradigma

Der oben schon erwähnte Soziologe Reckwitz stellt dar, dass jede Phase des Kapitalismus ein eigenes zeitgemäßes Paradigma (Weltsicht) hat – also eine dominierende Erzählung, die das politische Handeln prägt – und zwar sowohl das der linken wie der konservativen Parteien. Die Durchsetzung eines neuen Paradigma ist jeweils Ergebnis einer Krise des vorangegangenen Paradigmas. In einer solchen Krise befinden wir uns zurzeit offensichtlich.

Nach der Weltwirtschaftskrise 1929 setzte sich zuerst in den USA ein sozial-korporatistisches Paradigma durch, das nach dem Krieg auch in Europa dominant wurde. Es war die Antwort auf die Folgen der Weltwirtschaftskrise und die wachsenden sozialen und damit auch politischen Probleme im Kapitalismus. Es reichte von Franklin D. Roosevelt und den skandinavischen Wohlfahrtsstaaten bis zu Konrad Adenauer und De Gaulle. Es ist geprägt durch den Ausbau des Sozialstaats (vorwiegend linke Agenda – aber eben auch durch die Konservativen) und durch kulturelle Konformität („was denken bloß die Nachbarn von uns“ – vorwiegend konservative Agenda – aber auch im sozialdemokratischen Milieu).

Dieses Paradigma geriet in den 1960er Jahren in die Krise und wurde dann in den 1980er Jahren durch das Paradigma des apertistischen (öffnenden) Liberalismus abgelöst – von den „Reagonomics“ über New Labour bis zur deutschen rot-grünen Regierung um die Jahrtausendwende. Diese Phase war durch einen Glauben an Fortschritt und Globalisierung, durch eine liberale und zunehmend unsoziale Wirtschaftspolitik (Neoliberalismus), aber auch durch eine liberale progressive Kultur- und Rechtspolitik geprägt – wobei die linken und konservativen Parteien jeweils nur einige Aspekte des Paradigmas vertraten, andere dagegen ablehnten.

In den Klassengesellschaften vor dem ersten Weltkrieg (Adel, Bürgertum, Arbeiter und Bauern) dominierte das aufsteigende Bürgertum, während die Arbeiter nichts zu sagen hatten und sich unterdrückt fühlten und es auch waren. Dagegen basierten sowohl das sozial-korporatistische Paradigma der Nachkriegszeit wie das liberal-apertistische Paradigma ab den 1980er Jahren auf dem Vertrauen und der Hoffnung auf bessere Zeiten: Alle können es schaffen. Das Wachstum generiert Reichtum und dadurch wird es künftig allen besser gehen. Die Welt wird friedlicher und wohlhabender.

Dieser Wachstumsoptimismus ist nun verloren gegangen – einmal durch die große Finanzkrise und die darauf folgende Euro-Krise, aber auch dadurch, dass der Klimawandel und damit die Grenzen des Wachstums ins allgemeine Bewusstsein gelangt sind. Es stellt sich nun die Frage, wie das neue Paradigma für die kommenden Jahre aussehen wird.

  1. Die Hilflosigkeit der Populisten

Die Rechtspopulisten nutzen diese Krise und versuchen die Demokratie als handlungsunfähig darzustellen. Aber sie haben keinen Plan, wie die Krise gelöst werden kann. Sie können eine illiberale Demokratie herstellen, in dem sie wie in Polen oder Ungarn die Gewaltenteilung ausschalten und den Öffentlichen Rundfunk zerstören. Sie können eine Kulturwende gegen die Rechte von Minderheiten, von Frauen, von Einwanderern organisieren. Aber die sozial-ökonomisch-ökologischen Probleme können sie nicht lösen.

Denn die geplante Abschottung Deutschlands ist für ein Land, das 50 % seiner Produktion exportiert, eine absurde Vorstellung. Zum Stoppen der Migration hat der Ökonom und Ungleichheitsforscher Branko Milanovic Entscheidendes gesagt:xiv Relevante Auswanderung findet statt, wenn der Einkommensunterschied größer als 3:1 ist. Der Unterschied zwischen Mitteleuropa und Zentralafrika ist aber 13:1. Wenn wir daran nichts ändern, werden weder Mauern noch Meere Menschen davon abhalten, hierher zu kommen. Das muss auch Giorgia Meloni in Italien gerade feststellen. Und eine Remigration von 20 Millionen Menschen wäre nur möglich, wenn man sie umbringt. Außerdem könnten wir ohne Einwanderer unsere Wirtschaft gar nicht mehr aufrechterhalten. Und wer soll die Renten finanzieren? Das Ergebnis von populistischen Regierungen war deshalb regelmäßig die Ruinierung der Staatsfinanzen trotz massiver sozialer Einschnitte und eine Schädigung der Wirtschaft, insbesondere der Wissensökonomie.

Hitler löste das Dilemma des Rechtspopulismus wie jetzt Putin oder Erdoğan durch militärische Expansion. Aber das dürfte heute in Mitteleuropa keine Option sein. Putin konnte das Desaster, dass die gebildete Mittelschicht aus Russland flüchtet und die Bildungsökonomie in Russland nicht Fuß fasst, bislang noch ökonomisch durch die gewaltigen Rohstoffvorräte ausgleichen, die aber nun durch die Transformation zur klimaneutralen Gesellschaft wertlos zu werden drohen. Schon gerade lustig – aber irgendwie auch typisch – ist dagegen der Vorschlag der AfD im neuen Europa-Programm, Deutschland solle an die EU weniger zahlen.xv Begründung: Die Berechnungsgrundlage sei falsch. Deutschland habe zu viele Milliardäre. Wenn man die rausrechnet, dann würden die Deutschen viel ärmer sein und müssten weniger abführen. Dass man Milliardäre auch besteuern könnte, kommt im Weltbild dieser Nationalisten nicht vor.

Es ist wichtig, diese Inkompetenz der Rechtspopulisten immer wieder zu verbreiten. Zwar löst das allein nicht das Problem. Denn die Menschen wählen die AfD nicht, weil sie Lösungen hat. Aber sie wollen schon eine Antwort auf die Probleme. Zumindest ein Viertel unserer Bevölkerung – in den neuen Bundesländern sogar ein Drittel – hat nach 15 Jahren Dauerkrise – Finanzkrise, Migration, Klimawandel, Corona, Ukraine – den Eindruck, dass die Regierungen es nicht hinbekommen. Vor allem aber fehlt ein überzeugendes Narrativ, ein Paradigma, das schildert, wohin die Regierung die Gesellschaft hinbewegen will.

  1. Wie könnte ein neues Paradigma aussehen?

Andreas Reckwitz glaubt, dass das neue Paradigma für unsere Gesellschaft ein regulativer einbettender Liberalismus sein wird. Ich würde es lieber Gleichgewichtsparadigma nennen. Denn wir müssen nach 200 Jahren dynamischem Wachstum der Bevölkerung, des Energie- und des Ressourcenverbrauchs die Gesellschaft wieder in ein Gleichgewicht mit dem Planeten und der Natur bringen. Aber egal, wie das neue Paradigma heißt, viel interessanterer ist die Frage, was soll das sein?

Das folgende von mir ergänzte Paradigma ist ein Entwurf – ein Gedankenmodell – und vielleicht ein Chance, aus der Krise – dem Dilemma – rauszukommen. Es hat – wie jedes Paradigma, drei Dimensionen: Die kulturelle, die sozial-ökonomisch-ökologische und die politische.

Die kulturelle Dimension:

Die zukünftige Gesellschaft sollte gekennzeichnet sein durch den Gedanken des Gleichgewichts anstatt des permanenten Wachstums. Die Menschheit ist Teil eines weltweiten Ökosystems. Daraus ergibt sich eine stärkere Betonung der Lebensqualität statt Wettbewerbsgeist, aber auch das Wiederbeleben einer positiven Kultur der Gemeinschaft gegenüber dem Primat des Individualismus.

Zu positiven Kultur gehört auch ein Selbstbewusstsein, dass wir in der Lage sind, für alle Menschen ein gutes Leben zu gestalten. Auch ohne Wachstum von Bevölkerung und Ressourcenverbrauch können wir die Lebensqualität durch unseren Erfindungsreichtum weiter steigern. Dazu muss der Pessimismus überwunden werden, der in linksintellektuellen Kreisen mittlerweile weit verbreitet ist. Wichtig ist auch eine Kultur der gegenseitigen Anerkennung, der Würdigung jeder Arbeit und aller Leistungen – um den Graben zwischen den Klassen auch kulturell einzuebnen. Dazu muss auch der Begriff „Solidarität“ wieder aufgewertet werden.

Weiterhin brauchen wir eine Rückbesinnung auf den Wert der öffentlichen Güter und der öffentliche Dienstleistungen wie Bildung, Betreuung, Gesundheitswesen, Rente aber auch Wasser, Wärme, Strom, Internet, Bus, Bahn und last not least öffentliche „gepflegte“ städtische und ländliche Lebensräume und die Erhaltung der Natur.

Die sozial-ökonomisch-ökologische Dimension:

Nötig ist ein Wiedererstarken des Sozialstaats, aber auch ein realer Abbau der Ungleichheit durch eine progressive Besteuerung der hohen Einkommen und der Vermögen der Superreichen, um der Klassenspaltung die Grundlage zu entziehen. Wenn das nicht gelingt, dann landen wir in einer Sanduhrgesellschaft mit einer wachsenden Unterklasse und einer wachsenden neuen Mittelklasse und einer kleinen aber mächtigen Sahnespitze der Superreichen oben drauf. Das könnte die Demokratie weiter destabilisieren. Denn frustrierte abgehängte Unterschichten sind in allen Demokratien von populistischen Autoritäten mobilisierbar.

Die Klimapolitik muss durch ein wirksames Klimageld flankiert werden. Wenn der Eindruck entsteht, dass Klimapolitik nur etwas für die Reichen ist, die sich Photovoltaik, Elektroautos und Wärmepumpen leisten können, dann wird sie scheitern.

Einen Ausstieg aus der Globalisierung kann sich kein Land mehr leisten. Das bedeutet in der Konsequenz internationale Regulierung statt nationale Abschottung. Deswegen braucht die EU eine neue demokratische Verfassung. Nötig ist auch eine internationale Regulierung der Finanzmärkte und der Steuerregeln und das Ausschalten der Steueroasen. Dazu bedarf es eines internationalen Steuerabkommens, wie es die Vollversammlung der UN bereits gefordert hat. Leider sind sich die EU-Staaten oft nicht einig und die EU bremst.

Eine ganz wichtige Konsequenz ist eine Assoziation für Demokratie und Entwicklung. Gemeint ist eine Wirtschaftsgemeinschaft zwischen Europa und Afrika nach dem Vorbild der ursprünglichen EWG, wie sie von Achille Mbembe, dem zurzeit bedeutendsten Philosophen Afrikas, gefordert wird. Basis der Mitgliedschaft sollen demokratische Standards sein, die durch ein Gericht geprüft werden und zum Ausschluss eines Staates aus der Gemeinschaft führen können. Das bedeutet auch die Abkehr von der paternalistischen Entwicklungshilfe und eine gezielte Struktur- und Entwicklungsförderung durch autonome demokratisch gewählte Regierungen. Ohne Gleichgewicht und einen akzeptablen Mindestlebensstandard in Afrika kann auch Europa nicht ins Gleichgewicht kommen.

Die politische Dimension:

Die Demokratie muss 250 Jahre nach Montesquieu endlich gründlich reformiert werden, um wieder eine neue Attraktion zu gewinnen. Vielleicht kann aus der Verbindung von Losdemokratie und direkter Demokratie eine neue systematische Einbindung der Bürger in die öffentlichen Prozesse gelingen. Das besondere an den neumodischen Bürgerräten besteht darin, dass hier erstmals alle Klassen der Gesellschaft repräsentativ beteiligt werden. Jede Person hat eine Stimme, von der Schulabbrecherin bis zur Professorin. Noch besser aber wäre es, wenn die Möglichkeit bestände, solche Bürgerräte durch Volksinitiativen einzuberufen. Und noch besser wäre es, wenn über mit zwei Drittel der Anwesenden verabschiedete Beschlüsse eines solchen Bürgerrates eine Volksabstimmung stattfindet, wenn sie nicht vom Parlament befriedigend aufgegriffen werden. So würde aus einem Bürgerrat mit rein beratender Stimme in Tribunat, eine neue Institution im Machtgefüge der Demokratie. Ein weiterer wichtiger Schritt zu mehr Bürgernähe ist auch die Dezentralisierung (Kommunalisierung) der öffentlichen Aufgaben.

Weiterhin muss die Regierung künftig alle politischen Richtungen repräsentieren (Konsensregierung), da der permanente Kampf der Opposition gegen die Regierung das Vertrauen in die Demokratie immer wieder beschädigt und die Gewaltenteilung untergräbt. Das würde auch eine ständige Weiterentwicklung der Parteiprofile ermöglichen, damit die Parteien die sich verändernde Klassen- bzw. Milieustruktur der Gesellschaft jeweils zeitnah abbilden können.

Nötig sind auch neue Formen der Transparenz, mit der Abschaffung des Steuergeheimnis, des Amtsgeheimnis usw. – auch als Gegensatz zur Privatisierung von öffentlichen Aufgaben. Diskutiert wird auch eine Weiterentwicklung der Gewaltenteilung durch eine Publikative (Medienrat, der autonom auf Basis einer Medienverfassung regelt), eine Regulative (Steuerung der Wirtschaftsordnung, Kartellrecht) und die Monetative (mit einer Finanzverfassung, in der Beschäftigungspolitik und Geldwertstabilität gleichwertig sind). Schließlich bedarf die postkapitalistische Gesellschaft einer neuen Form der Wirtschaftsdemokratie.

Migration:

Auch wenn die Migration nicht die Ursache der AfD-Zuneigung ist, sondern Folge von Abstiegs- und Zukunftsängsten und des Gefühls mangelnder Anerkennung, so passt das Feindbild Einwanderer doch in die rechtskonservative Agenda. Entscheidend um dem zu begegnen ist daher, die Konflikte zu minimieren durch eine reibungslose Integration: Dazu gehören die fünf „so schnell wie möglich“:

  1. Deutsch lernen
  2. In die Schule oder in den Kindergarten aufnehmen
  3. Wohnung finden (raus aus der Massenunterkunft)
  4. Arbeit und Ausbildung vermitteln
  5. Sicherheit gewährleisten.

Fazit:

Wenn es gelingt, das Paradigma der Gleichgewichtsgesellschaft erfolgreich durchzusetzen, wird die Gesellschaft also wieder stärker reguliert und das Sozialsystem wieder stabilisiert werden. Zugleich soll aber die Demokratie, die Grundrechte und Freiheiten beibehalten und ausgebaut werden. Kernanliegen sollte es sein, die drei Klassen Alte Mittelklasse, Neue Mittelklasse und die Prekäre Klasse wieder zusammenzuführen, die sozialen Unterschiede abzumildern und die gesellschaftliche Notwendigkeit aller Tätigkeiten in der Gesellschaft anzuerkennen.

i Homepage des Kreises Herzogtum Lauenburg: Politik und Verwaltung – Kreistag. Gelesen in https://www.kreis-rz.de/Politik-und-Verwaltung/Kreistag/index.php?object=tx,3149.1&ModID=9&FID=1814.126.1&NavID=1814.86&La=1 und in https://jan-kuerschner.de/die-grosste/ am 28.1.2024

ii AfD: Programm für Deutschland. Das Grundsatzprogramm der Alternative für Deutschland. Stuttgart 2026, gelesen in https://www.afd.de/wp-content/uploads/2023/05/Programm_AfD_Online_.pdf am 31.1.2024.

iii Marcel Fratzscher: Das AfD-Paradox und die politische Nähe zu anderen Parteien – Die meisten Überschneidungen gibt es mit der Union. DIW aktuell Nr. 89, September 2023 – gelesen in https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.879721.de/diw_aktuell_88.pdf am 28.1.2024

iv NDR: #NDRfragt – Ist unsere Demokratie gut genug? 18.351 Teilnehmende, Oktober 2023, gelesen in https://storage.googleapis.com/public.ndrdata.de/ndrfragt/reports/NDRfragt_Umfrage_Demokratie_2023_alle_Ergebnisse.pdf am 31.1.2024

v NDR (Lisa Göllert, Patrick Reichelt): Umfrage: Ohne Wohlstand kaum Zufriedenheit mit Demokratie, 27.11.2023 – gelesen in https://www.ndr.de/ndrfragt/Umfrage-Ohne-Wohlstand-kaum-Zufriedenheit-mit-Demokratie,demokratie212.html am 28.1.2024

vii Karl-Martin Hentschel; Alfred Eibl: Steuer-Revolution – Ein Konzept zur Rückverteilung von Reichtum, zu mehr Gerechtigkeit und Klimaschutz. AttacBasisText 59, VSA-Verlag Hamburg 2024

viii Thilo Albers; Charlotte Bartels; Moritz Schularick: Wealth and its distribution in Germany, 1895-2018. Berlin 8.3.2020, gelesen in: https://econtribute.de/wp-content/uploads/ECONtribute_The_Distribution_of_Wealth_ eng _study.pdf am 7.8.2023

ix Nils Markwardt: „Es findet eine Verlust-Eskalation statt“. Die Zeit 16.1.2024, gelesen in https://www.zeit.de/kultur/2024-01/andreas-reckwitz-soziologie-verlustparadox-liberale-demokratie am 31.1.2024

x Wissenschaftskommunikation.de: Ein fundamentales Bedürfnis nach Handlungsfähigkeit und Kontrolle. Gelesen in https://www.wissenschaftskommunikation.de/ein-fundamentales-beduerfnis-nach-handlungsfaehigkeit-und-kontrolle-44187/ am 28.1.2024.

xi Andreas Reckwitz: Das Ende der Illusionen – Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne. Edition suhrkamp, Berline 2019

xii Michael S. Sandel: Vom Ende des Gemeinwohls – Wie die Leistungsgesellschaft unsere Demokratien zerreißt. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2020

xiii Thomas Piketty: Kapital und Ideologie. Verlag C.H.Beck, München 2020

xiv Branko Milanovic: Europas Fluch des Wohlstandes. In Makronom 5.7.2028, gelesen in https://makronom.de/branko-milanovic-migration-ungleichheit-europas-fluch-des-wohlstands-26757 am 1.2.2024